Verliert
die WestEnergie und Verkehr ihr Strom- und Gasnetz?
11.06.08:
Seit Mitte des vergangenen Jahres wurden zwischen den beiden
Gesellschaftern der WestEnergie und Verkehr GmbH & Co.
KG (West), das sind die Kreiswerke Heinsberg GmbH (KWH) und
die Niederrheinische Versorgung und Verkehr AG (NVV), Verhandlungen
über eine mögliche Neuausrichtung der Kooperation
zwischen der West und der NVV geführt.
Im
Wesentlichen strebt die NVV an, ihren Einfluss auf die sogenannte
„Versorgungs- sparte“ der West auszuweiten. Hierbei
handelt es sich um die Bereiche der West, die auf die Versorgung
der Bürger des Kreises Heinsberg mit Strom und Gas abzielt,
also insbesondere das Strom- und Gasnetz. Das von Landrat
Stephan Pusch mit der NVV ausgehandelte Angebot sieht vor,
dass die Versorgungssparte der West rückwirkend zum 01.01.2008
zunächst für die Dauer von sieben Jahren zu einem
Pachtentgelt von 8 Mio. € netto/Jahr an die NVV verpachtet
wird. Nach Ablauf der sieben Jahre stehen im Weiteren dann
drei vertraglich festgeschriebene Optionen offen, von denen
eine Option gewählt werden muss:
-
Verlängerung der Verpachtung: Der
Pachtvertrag wird auf unbestimmte Zeit fortgeführt.
Das Pachtentgelt beträgt dann jedoch erfolgsabhängig
nur 4,9 bis 7 Mio. €. Die Verpachtung kann durch die
KWH mit einer Kündigungsfrist von 2 Jahren beendet
werden, jedoch sind die KWH dann verpflichtet, ihre die
Versorgungssparte der West (d.H. Strom- und Gasnetz) entweder
auf Basis des Einlagemodells (siehe Option 2) oder des Verkaufs
(siehe Option 3) an die NVV zu übertragen.
-
Einlagemodell: Den KWH wird eine stille
Beteiligung bei der NVV eingeräumt. Dazu bringen die
KWH ihren Anteil an der Versorgungssparte (d.H. Strom- und
Gasnetz) der West als Einlage in die Gesellschaft ein.
-
Verkauf: der Anteil der KWH an der Versorgungssparte
der West (Strom- und Gasnetz) wird zu einem Preis von 70
Mio. € von der NVV gekauft.
Alle
drei Optionen haben eine Gemeinsamkeit: die KWH haben keinen
direkten Zugriff mehr auf die Versorgungssparte der West,
d.h. Strom- und Gasnetz des Kreises Heinsberg liegen nicht
mehr in öffentlicher Hand, sondern bei der NVV und somit
in der Hand des gewinnorientierten Energiegiganten RWE.
Zwar
ist theoretisch ein Rückkauf möglich, jedoch hat
die Vergangenheit mehrfach gezeigt, dass sich Energieriesen
wie RWE hiergegen stets mit langwierigen Rechtsstreiten gewehrt
haben und ein Rückkauf nur zu sehr hohen Preisen zu realisieren
war.
Bemerkenswert
bei dieser „Neuausrichtung der Kooperation zwischen
der West und der NVV“ bleibt aber unabhängig von
dieser theoretischen Rückkaufmöglichkeit etwas ganz
anderes: Sollten die Kommunen des Kreises Heinsberg das Angebot
der NVV mehrheitlich annehmen, so würde man einen Weg
gehen, welchen andere Kommunen, die sich zuvor bereits in
die selbe Richtung bewegt haben, heute in zunehmenden Maße
wieder „zurück gehen“:
So
berichtet „Die Zeit“ beispielsweise in ihrer Ausgabe
14/08 auf Seite 24 :
“Ein
lohnender Sonderweg – überall in Deutschland wird
das Gas teuerer, nicht jedoch in Ahrensburg. [...] Vor gut
einem Jahr löste sich die Kleinstadt mit Hilfe einer
Klage aus der Abhängigkeit vom angestammten Gasversorger
E.on und brachte eine eigene Gasversorgung auf den Weg. Jetzt,
nach dem ersten Betriebsjahr des kommunalen Unternehmens,
hat sich der Ahrensburger Sonderweg als ausgesprochen lohnend
erwiesen. [...]“
Der
„Focus“ (Ausgabe 14/2008) geht auf Seite 148 sogar
noch weiter:
„Während
Millionen Haushalte seit Januar schon wieder mehr für
den Brennstoff zahlen müssen, sank der Gaspreis in Ahrensburg
um immerhin fünf Prozent. [...] Das Zauberwort heißt
´Rekommunalisierung´. Auf Deutsch: Die Städte
und Gemeinden kaufen die Strom- und Gasversorgung von den
Großkonzernen zurück.
In vielen Rathäusern zwischen Kiel und Konstanz fragen
sich angesichts ständig steigender Energiepreise die
Kommunalpolitiker, ob sie die Konzessionsverträge mit
den großen Versorgern wie RWE oder Vattenfall nicht
auslaufen lassen und selbst in das Geschäft einsteigen
sollen.“
Die
Gemeindewerke Nümbrecht berichten dazu auf ihrer Internet-Seite:
„Bereits
Anfang der 80er Jahre wurde in Nümbrecht darüber
nachgedacht, die Stromversorgung wieder in kommunale Hände
zu übernehmen. [...] Darum wagte die Gemeinde Nümbrecht
Mitte der 90er Jahre einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen
Verfügung über die Übernahme des Stromnetzes.“
Als
Ergebnis dieser Rekommunalisierung haben die Gemeindewerke
Nümbrecht nach eigenen Angaben erreicht, dass „Gewinne,
die sonst für einen großen Konzern entstanden,
nunmehr sinnvoll in der Gemeinde Nümbrecht genutzt werden
können. Inzwischen können die Gemeindewerke Nümbrecht
Aufgaben übernehmen, für die in der Kommune keinerlei
Mittel mehr vorhanden sind, z.B. die Weihnachtsbeleuchtung.“
Angesichts dieser positiven Berichte von Kommunen, welche
ihre Strom- und Gasversorgung von den Großkonzernen
zurückgekauft haben, stellt sich die Frage, warum die
Kommunen des Kreises Heinsberg genau den umgekehrten Weg gehen
sollten.
Die
BÜRGERLISTE lehnt dies jedenfalls ab!
Aus
unserer Sicht überwiegen die Vorteile, welche ein Gas-
und Stromversorgungsnetz in kommunaler Hand haben, bei weitem
den kurzfristigen Einnahmen, welche die geplante Neuausrichtung
mit sich bringen würde. Als Beispiele für die Vorteile
seien hier genannt:
-
Mehr Wettbewerb zu Gunsten der Kunden, da neuen Wettbewerbern
der Zugang zum Versorgungsnetz erleichtert wird;
-
tendenziell günstigere Strom- und Gaspreise, da das
Hauptziel von Kommunalen Versorgern und Netzbetreibern nicht
die Gewinnmaximierung ist;
-
erwirtschaftete Gewinne kommen den Bürgern direkt zu
Gute und tragen nicht lediglich zur Gewinnmaximierung der
großen Energiekonzerne bei;
-
Arbeitsplätze entstehen direkt vor Ort und nicht irgendwo
im Versorgungsgebiet des Energiekonzerns;
Die
BÜRGERLISTE ist der Meinung, dass die sogenannte „Neuausrichtung
der Kooperation zwischen der West und der NVV“ sich
mittel- bis langfristig außerordentlich nachteilig für
die Bürger vor Ort auswirken wird und zu steigenden Strom-
und Gaspreisen führen wird. Gerade in einer Zeit, in
der Energie ohnehin insbesondere für schwächere
Einkommensschichten zunehmend unerschwinglicher wird, fällt
es aber in den Bereich der Daseinsfürsorge der Kommunen,
alles Erdenkliche dafür zu tun, die Versorgung der Bürger
mit bezahlbarer Energie sicher zu stellen. Daher spricht die
Bürgerliste sich ausdrücklich gegen die geplante
Neuausrichtung aus. Ein fairer Wettbewerb zum Vorteil der
Verbraucher kann nur gewährleistet werden, wenn zumindest
die Strom- und Gasnetze (im vorliegenden Fall also die Versorgungssparte
der West) weiterhin in kommunaler Hand bleiben.
Nachtrag vom 12.06.2008:
In
der Sitzung des Rates vom 11.06.2008 fand sich erfreulicherweise
keine Mehrheit für die geplante Neuausrichtung der Kooperation
der West mit der NVV. Somit werden die Vertreter der Stadt
Geilenkirchen in den Gremien der Kreiswerke Heinsberg und
der West gegen die Neuausrichtung stimmen. Jedoch kann dies
alleine die Neuausrichtung nicht verhindern, da die Stadt
Geilenkirchen nur mit ca. 9 % an den Kreiswerken Heinsberg
beteiligt ist und somit alleine nicht über die notwendige
Sperrminorität von 25 % verfügt. Es ist daher notwendig,
nun alle Energie darin zu investieren, auch andere Kommunen
des Kreises von einem Negativvotum für die geplante Neuausrichtung
zu überzeugen.
Nachtrag vom 20.06.2008:
Wie
die Geilenkirchener Zeitung in ihrer morgigen Ausgabe (21.06.2008)
berichten wird, ist nach zustimmenden Beschlüssen der
Städte Erkelenz, Übach-Palenberg, Wassenberg, Wegberg,
Selfkant Waldfeucht und Niederkrüchten sowie des Kreises
Heinsberg die notwendige 75prozentige Mehrheit leider erreicht
worden und somit die Neuausrichtung der Kooperation nicht
mehr zu verhindern. Die BÜRGERLISTE bedauert dies sehr
und stellt fest, dass der Bürger hier nun wieder einmal
den Kürzeren vor den Interessen der Wirtschaft ziehen
musste.
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